top of page
Search
  • © Janey L. Adams

Verführerischer Nachbar


Genervt und fasziniert zugleich vergrub ich den Kopf unter dem Kissen.

Von nebenan kamen unzweideutige Geräusche. Um es anschaulicher zu sagen: Selbst mein Bett (!) bewegte sich rhythmisch, bedingt durch die Aktivität meines 'standhaften' Nachbarn.

Erst vor einer guten Woche war ich in das Apartmenthaus eingezogen. In diesen neun Tagen war ich ungewollt Zeugin von sieben erotischen Eskapaden geworden.

Zugegeben, sie fanden hauptsächlich in meiner Vorstellung statt. Und in meinen Ohren. Aber das war nebensächlich.

Interessant daran war die Tatsache, dass es jedes Mal eine andere Frau war, die diesen Vergnügungen beiwohnte.

Woher ich das wusste? Ich sage nur: Türspion!

Ich hasste mich selbst dafür, doch es war wie ein Zwang. Beim ersten Mal war ich einfach nur neugierig gewesen, wie der Nachbar aussah. Leider erhaschte ich nur einen kurzen Blick auf die Frau mit den langen blonden Haaren.

Ihr folgten, im täglichem Wechsel, zwei Brünette, eine klein, die andere mittelgroß. Eine Rothaarige, eine weitere Blondine, dann eine mit grünen Strähnen und Igelfrisur ... Den bisherigen Abschluss bildete eine vollbusige Schönheit mit rabenschwarzen Haaren.

Morgen früh würde ich wieder einen Blick riskieren. Ich war versessen darauf, einen Blick auf den Kerl zu erhaschen, der bislang jede der Frauen zum Schreien gebracht hatte. Ausnahmslos!

Leider verabschiedete er seine Gespielinnen an seiner Wohnungstür, die ich nur erahnen konnte durch den Spion. Zwangsweise mussten die Frauen an meiner Tür vorbei, um zum Treppenhaus zu gelangen.

Meine Fantasie schlug Purzelbäume. Mal stellte ich ihn mir hochgewachsen und athletisch vor, mal durchschnittlich groß mit einem süßen Bäuchlein. Komischerweise war er immer strandblond in meiner Vorstellung.

Auch wenn ich von zu Hause arbeitete, sein Kommen und Gehen verpasste ich mit untrüglicher Sicherheit. Es war wie verhext … Mir war aber auch nicht danach, ständig vor der Wohnungstür zu lauern, auch wenn mich die Neugier fast um den Verstand brachte.

Jetzt hörte ich den ersten spitzen Schrei, gefolgt von einem Brummen, das lustvoll und ekstatisch klang.

Mein Herz setzte einen Schlag aus, als seine dunkle Stimme einfiel. Eine Gänsehaut überzog meinen Körper. Fast war es, als würde er in mein Ohr stöhnen.

Verdammt!

Nicht nur meine Fantasie wurde dabei angeregt. Seit Tagen fühlte ich mich wie eine dauerläufige Hündin …

Hätte ich eine Spur mehr Mut in meinem zu knapp bemessenem Körper (ich brachte es gerade mal auf einen Meter achtundfünfzig), dann würde ich das Hörspiel nutzen, um meine eigene Party damit zu starten.

Allerdings waren die Wände dermaßen hellhörig …

Nein! Bei aller Lüsternheit, so weit wollte ich es nicht kommen lassen: Am Ende lauschte er meinem Stöhnen …

Natürlich stand mir die Möglichkeit offen, gegen die Wand zu hämmern und laut nach Ruhe zu rufen.

Doch auch wenn ich keinen Spaß hatte, wollte ich ihm seinen nicht verderben.

Müde stand ich auf und linste zum Wecker. Kurz nach eins. Passend zu seinem Schema. Ob er wohl besonders lange brauchte, um eine Frau herzulocken?

Wenn mich einer abgeschleppt hatte, dann kamen wir weit vor Mitternacht zur Sache. Aber das lag in der fernen Vergangenheit.

Aus der winzigen Küche, die offen neben dem Wohnzimmer lag, holte ich mir ein Glas Apfelsaft. Damit machte ich es mir auf der Couch gemütlich. In einer halben Stunde würde ich gefahrlos mein Bett aufsuchen können, das wusste ich aus Erfahrung.

Selbst durch die geschlossene Schlafzimmertür waren die Geräusche zu hören, wenn auch gedämpft. Andernfalls hätte ich nach dem zweiten oder dritten Tag mein Bett ins Wohnzimmer gestellt.

Jedoch stand mir der Sinn nicht danach, den winzigen Raum in ein Büro umzufunktionieren. Zwar litt ich nicht unter Platzangst, doch mir gefiel die Aussicht aus dem riesigen Wohnzimmerfenster. Sie erleichterte mir das Arbeiten.

Kurz horchte ich auf, als die knallenden Geräusche an Geschwindigkeit zulegten. Ah, ja … Auch ihr Stöhnen wurde mächtiger …

Verdammt, ich brauchte unbedingt einen Mann!

Und wenn nur für eine einzige Nacht. Im Vergleich zu meinem aktiven Nachbarn kam ich mir vor, als würde ich sexuell gesehen schon im Grab liegen.

Leider hatte ich bisher nur oberflächliche Freundschaften in der neuen Stadt geschlossen. Eine Freundin, mit der ich durch diverse Bars ziehen konnte, fehlte bislang darunter.

Ja, ich könnte alleine gehen. Wenn ich etwas mutiger wäre …

„O Gott … Jaaaa“, schrie die Frau, dann verstummte das Lärmen.

Seelenruhig checkte ich auf dem Smartphone meine E-Mails. Danach kippte ich den letzten Rest Saft die Kehle hinunter und stellte das Glas in die Spüle. Ein bekanntes Geräusch ertönte, was mich sofort zur Wohnungstür trieb.

Atemlos presste ich das Auge an den Spion.

Seltsam, in der Regel blieben die Frauen bis zum nächsten Morgen.

„Danke, Honey. Du warst sensationell. Wenn ich nicht unbedingt den Flieger kriegen müsste ...“ Sie gab ein äußerst erotisches Lachen von sich.

„Definitiv schade, aber nicht zu ändern.“

„Leider. Du meldest dich, wenn du wieder in der Stadt bist?“

„Garantiert. Die Nacht will ich unbedingt wiederholen. Und entspannt ausklingen lassen“, antwortete seine dunkle Stimme mit einem deutlichen Lächeln darin.

Ich hörte einen Kuss, der eine gefühlte Ewigkeit andauerte. Ein Arm winkte aus der Türöffnung, die Frau (dieses Mal eine extrem schlanke mit rotblondem Haar) lief eilig zur Treppe.

Ich hörte die Tür nebenan zugehen.

Wieder in der Stadt …

Es klang ganz danach, als würde er seinen Eroberungen eine dicke Lüge auftischen. Denn ich wusste ziemlich genau, dass er allabendlich in seinem Bett lag, und nur selten alleine.

Gut, das konnte mir einerlei sein.

Vielmehr fragte ich mich jetzt, wo, zum Geier, er hinging, um die ganzen Frauen abzuschleppen …

Müde kuschelte ich mich in mein Bett, das jetzt bewegungslos dastand. Ob ich einfach mal von mir aus den Kontakt zu meinem Nachbarn suchen sollte?

Doch ich wusste nur zu genau, dass ich vor Verlegenheit nicht einen Ton hervorbringen würde, da ich ihn mir aktiv im Bett vorgestellt hatte ...

Dann kam mir die zündende Idee. Ich wunderte mich, dass sie mir erst jetzt einfiel: Ich verdiente mein Geld als freischaffende Texterin. Also könnte ich ihm eine Notiz schreiben und an die Tür kleben. Mit etwas Glück …

Darüber grübelnd schlief ich ein, ohne es zu merken. Und träumte von einem Mann mit beachblondem Haarschopf, der sich um mich bemühte.

 

Mit hämmerndem Herzen zog ich den weißen Zettel, der mit einem Klebestreifen über dem Türknauf befestigt war, von dem türkis gestrichenen Holz. Hastig rammte ich den Schlüssel ins Schloss.

Sekunden später lehnte ich von innen an der Tür. Mit bebenden Fingern entfaltete ich ihn und las:

Ein herzliches Willkommen in der Wohngemeinschaft, Julia!

So weit, so gut. Was soll ich noch schreiben, verflixt?

Muss ich rot werden, weil du mir klar gemacht hast, dass du über mein gesamtes Liebesleben einen Roman schreiben könntest?

Definitiv werde ich in mich gehen, um zu entscheiden, ob ich a). zukünftig enthaltsam leben sollte, oder b). einen Umzug in Erwägung ziehen muss, oder

c). mit dir eine dauerhafte Affäre eingehen werde, um unser beider Problem zu lösen?

Wenn ich schlicht auf deine Bitte eingehen soll: Meine Aufrisse starte ich in der Bar „McCoy's“. Sie liegt nur drei Blocks von hier entfernt, du solltest es googlen können. Ob sie dafür taugt, Männer abzuschleppen?

Sorry, da passe ich. Du weißt ja, dass ich einzig auf Frauen stehe ...

Bei weiteren Fragen: Zögere nicht, dich erneut an mich zu wenden. Du weißt, wo ich wohne. (Noch, jedenfalls. Meine Ich-gehe-in-mich-und-suche-nach-einer-Entscheidung-Phase ist noch in vollem Gange).

Es grüßt Devin

Sprachlos starrte ich auf das Blatt, las es insgesamt drei Mal.

Sein lockerer und durchaus lustiger Stil gefiel mir!

Allerdings verging mir das Lächeln bei c)., da ich nicht einordnen konnte, ob er es wirklich nur witzig gemeint hatte …

Als ich über das „McCoy's“ grübelte, entstanden weitere Hürden.

Was, wenn ich Devin dort treffen würde?

Was, wenn ich ihn anbaggerte, ohne zu wissen, dass er es ist?

Was, wenn ich tatsächlich jemanden treffen würde, den ich mit nach Hause nehmen wollte, und damit ungewollt ein Hörspiel für Devin einleitete?

O mein Gott!

Was hatte ich bloß mit meinem Zettel angerichtet? Ich hatte neue Probleme erschaffen, und dafür nur eines gelöst.

Und ob ich jemals den Fuß ins „McCoy's“ setzen würde, stand in den Sternen.

FORTSETZUNG FOLGT ...


29 views0 comments

Recent Posts

See All
bottom of page