top of page
Search
  • © Janey L. Adams

Verführerischer Nachbar, Teil 2


Einen Tag später blickte ich entgeistert auf den Zettel an meiner Tür. Es war wie in einem Déjà-vu, einfach unwirklich.

Dabei hatte ich ihm doch in einer winzigen Notiz geschrieben, dass er mich einfach ignorieren und den vorherigen Zettel vergessen sollte!

Tief durchatmend betrat ich meine Wohnung, stellte die Tüten mit den Lebensmitteln auf die Arbeitsfläche. Bangen Herzens legte ich das Papier daneben, zu mutlos, um es zu entfalten.

Stattdessen leerte ich die Plastiktüten und sortierte den Einkauf in die Schränke.

Kaffee, dachte ich. Stark und schwarz. Das könnte helfen!

Gesagt, getan. Mit dem dampfenden Becher in der einen Hand, dem Zettel in der anderen, ließ ich mich auf das Sofa sinken.

Angewidert verzog ich das Gesicht, als ich einen Schluck von der bitteren Brühe nahm. Ohne Milch und Zucker schmeckte Kaffee grauenvoll! Da es aber als Medizin herhalten musste, trank ich beherzt weiter.

Erst, als ich den Becher zu Hälfte geleert hatte, war mein Mut groß genug angewachsen. Ich entfaltete das Papier und las:

Also, so ganz fair finde ich das nicht!

Erst machst du mich verlegen, unsicher und - zugegeben - neugierig, um mir dann zu sagen, dass ich dich und deine aufwühlende Nachricht vergessen soll?!

Oh nein, liebste Julia! Liebste deswegen, weil ich glaube, dass Möglichkeit c). noch nicht vom Tisch ist. Allerdings bin ich noch zu keiner Entscheidung gelangt. Wobei a). durchaus Anwendung gefunden hat, wenn auch nicht aus freien Stücken …

Doch nein, so leicht mache ich es dir – und mir – nicht! Vielmehr verstärkt sich in mir der Wunsch, dich persönlich kennenzulernen.

Geschockt? Ich auch!

Wer weiß, vielleicht bist du dreihundert Jahre alt, dabei gekleidet wie eine Achtzehnjährige, die sich krampfhaft an ihrer vergangenen Jugend festkrallt?!

Oder du bist eine geschiedene Mutter und Hausfrau, deren Leben darin besteht, andere auszuspionieren?!

Hah, ich glaube, das war ein Lichtblitz: Spionieren! Du bist von der CIA, gesandt um herauszufinden, ob ich … Ja, was eigentlich? Mist! Ich dachte, ich wäre interessanter!

Du siehst, mein Kopfkino ist schwer mit dir beschäftigt!

Vorhin hatte ich den Mut, bei dir zu klopfen, doch du hast nicht geöffnet. Aus berechtigten Zweifeln heraus habe ich zu deinen Gunsten entschieden, dass du nicht zu Hause warst, und deshalb die Tür geschlossen blieb. Alles andere müsste ich zu meinen Ungunsten auslegen, und das behagt mir seltsamerweise nicht.

Dennoch klebe ich irgendwie an der Vorstellung, dass ich dich ungemein attraktiv finden werde, wenn wir uns mal live gegenüberstehen werden.

Bis dahin: Nein, ich werde dich nicht vergessen. Und ja, ich hoffe auf eine weitere Nachricht von dir.

Dein Devin

Beinahe grenzten meine Atembeschwerden an Schnappatmung.

Ungläubig, aber auch breit lächelnd, glotzte ich auf den Brief.

Jawohl, anders konnte ich es nicht bezeichnen. Das waren keine schlichten Worte, höflich und nichtssagend. Das war mehr!

Verfixt, es war so viel mehr, dass es mich in den Fingern juckte, ihm sofort eine Antwort zu schreiben ...

Doch darüber musste ich erst einmal nachdenken.

 

Au Backe! Ein weiterer Zettel!

Heute war ich schneller. Innerhalb von fünf Minuten saß ich auf der Couch, mit einem süßen Milchkaffee in der Hand. (Die medizinische Variante hatte nichts bewirkt ...)

Liebste Julia,

so so … Ich glaubte zu träumen, als ich las, dass du ins „McCoy's“ gegangen bist!

Soll ich sagen, welche Gefühle mich dabei überschwemmt haben? Ja, weil es raus muss! Und da ich mich als recht rationell einschätze, halte ich mich knapp:

a). Ich bin sauer, dass ich dich verpasst habe! (Ja, ich war dort.)

b). Habe ich dich gesehen? Mit dir gesprochen?

c). Bei jedem weiteren Besuch werde ich mich fragen, ob DU es bist, die ich ansehe ... (Ich weiß noch immer nicht, wie du aussiehst.)

d). Warum hast du mich nicht eingeladen, dich zu begleiten?

Was mich zu der Frage führt: Hast du jemanden abschleppen können?

Gehört habe ich nichts, aber was sagt das schon aus? Vielleicht seid ihr zu ihm gegangen …

Außerdem: Ich hatte beste Chancen, jemanden mitzunehmen. Wegen dir habe ich es nicht getan. (Darf ich anmerken, dass ich langsam aber sicher den Notstand deklarieren muss?)

Du siehst, mein Kopf spielt vollkommen verrückt!

Und weil es - nicht nur körperlich, sondern auch emotional - allmählich bedenkliche Ausmaße annimmt, kommt hier folgender Vorschlag:

Samstag, zweiundzwanzig Uhr im „McCoy's, Bartresen an der westlichen Außenwand. Dort werde ich auf dich warten!

Mehr sollte ich nicht schreiben, ich weiß es! Doch diese Worte muss ich noch loswerden: Geh nicht einfach an mir vorbei, bitte!

Dein Devin

Ich rang nach Atem. Mein Herz raste!

Und alles wegen einem Mann, den ich nie gesehen habe. Den ich nur durch Worte auf weißem Papier kennengelernt habe. Gut, und in gewisser Weise auch durchs Zuhören …

Aber wollte ich daran etwas ändern? Im Grunde gefiel es mir, wie es war.

Rein statistisch gesehen war es ohnehin unwahrscheinlich, dass wir einander gefielen!

Und was, wenn einer den anderen mag, der andere aber nicht?

Da sieht man mal, wohin die böse Neugier einen führen kann …

Ich warf den Brief auf den Couchtisch.

Entschlossen, mich von dem Dilemma zu lösen, fuhr ich meinen Laptop hoch, um zu arbeiten. Der Blick, den ich aus dem Fenster warf, beruhigte meine Nerven zu einem gewissen Quantum.

Zu dumm nur, dass ich arbeitstechnisch nichts zustande brachte. Nein, meine Gedanken kreisten um seinen Vorschlag.

Und um seinen Notstand …

Wobei ich zugeben muss, dass sich meiner etwas neutralisiert hat, nachdem es keine Hörspiele mehr gab.

FORTSETZUNG FOLGT ...


25 views0 comments

Recent Posts

See All
bottom of page